Lizenz zum Halluzinieren

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Eine Wohnungsrenovation brachte ein beinahe vergessenes Geheimprogramm der CIA ans Tageslicht: MK-Ultra. Der US-Geheimdienst testete dabei die Droge LSD an ahnungslosen Menschen als Biowaffe.

Als das Gebäude im Viertel Telegraph Hill in San Francisco vor einigen Monaten renoviert wurde, fand man in den Wänden Abhörmikrofone, Drähte und Aufnahmegeräte – letzte Zeugnisse von MK-Ultra, so der Name eines geheimen CIA-Programms, bei dem ahnungslosen Amerikanern in New York und San Francisco zwischen 1953 und 1966 LSD und andere Drogen verabreicht wurden.

Der Enthüllungsreporter Seymour Hersh hatte die Existenz von MK-Ultra 1974 in der «New York Times» aufgedeckt, jetzt ging die Lokalzeitung «SF Weekly» der Sache in San Francisco nochmals nach – und fand neue Details. Geleitet wurde MK-Ultra von dem Chemiker Sydney Gottlieb, Impresario aber war der Narco-Polizist und CIA-Consultant George White.

Nachdem bei ersten LSD-Experimenten der Biowaffen-Spezialist Frank Olson 1953 in New York aus dem Fenster eines CIA-Apartments im zehnten Stockwerk eines Hauses in den Tod gesprungen war und die CIA eine Aufdeckung befürchtete, siedelte White nach San Francisco über. Auf dem Telegraph Hill richtete White eine Wohnung ein, in welcher er, manchmal begleitet von Gottlieb, die menschlichen Versuchskaninchen beobachten konnte.

LSD für Kollegen und Freunde

Drogenabhängige Prostituierte angelten sich gegen Bezahlung und auf Geheiss von White in den Bars von San Francisco nichtsahnende Freier, schütteten ihnen LSD in ihre Getränke und brachten sie in das CIA-Apartment. Dort sass White hinter einem Spiegel, oftmals Drinks in der Hand, und beobachtete die Sex-Spiele der halluzinierenden Freier. «Ich habe mit ganzem Herzen im Weinberg gearbeitet, weil es so viel Spass gemacht hat; wo sonst konnte ein richtiger amerikanischer Junge mit Billigung allerhöchster Gewalten lügen, töten und betrügen, stehlen, täuschen, vergewaltigen und plündern?», schrieb White, der 1975 an Leberzirrhose starb, rückblickend an Gottlieb.

White probierte LSD an sich selbst aus und berichtete 1974 in einem Brief an einen Psychiater von «bewusstseinserweiternden Erfahrungen». Die Droge aber liess er nicht nur in die Drinks der Freier auf dem Telegraph Hill mischen: Bei Partys zu Hause wie im Büro verabreichte White unwissenden Kollegen und Freunden ebenfalls LSD.

Wayne Ritchie ist einer der letzten Überlebenden der Experimente. Bei einer Weihnachtsparty am 20. Dezember 1957 im Bundesgebäude in San Francisco, wo Ritchie als Polizist arbeitete und White unter seinem Cover als Drogenfahnder, glaubte Ritchie nach einem Whiskey plötzlich verrückt zu werden: Die Lichter des Weihnachtsbaums nahmen grelle Farben an, der Raum drehte sich um Ritchie. «Ich erinnere mich ganz klar an diesen Abend; ich wurde paranoid», sagt Ritchie heute.

«Die dachten, sie würden dem Land helfen»

Er stürmte aus dem Gebäude und betrank sich, kehrte unter dem Einfluss von LSD völlig verwirrt in sein Büro zurück und holte dort seine Dienstwaffe, mit der er wenig später eine Bar auszurauben versuchte. Der Raub misslang, worauf Ritchie zu Bewährung verurteilt wurde und den Dienst quittierte. Nachdem die Existenz von MK-Ultra enthüllt worden war, reichte Ritchie Klage ein. Er verlor, da sich nicht eindeutig nachweisen liess, dass ihm George White an jenem Abend in San Francisco LSD in den Drink geschüttet hatte.

«Die dachten, sie würden dem Land helfen», sagt der weit über 80-jährige Ritchie im Rückblick. Manche der Opfer von MK-Ultra wurden von der CIA in den 70er und 80er Jahren kontaktiert, andere wie die Freier vom Telegraph Hill hingegen nicht. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

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