Staatsaufrüstung im Namen der Meinungsfreiheit

QUELLE:  World Socialist Web Site    (wsws.org)

Von Peter Schwarz
26. September 2012

Der anti-islamischen Hetzfilm „Die Unschuld der Muslime“ hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der sich von Indonesien im Südosten Asiens bis nach Tunesien im Westen Afrikas erstreckt. Das bloße Ausmaß der Proteste zeigt, dass es sich dabei nicht nur um die Reaktion einzelner religiöser Fanatiker handelt, sondern um eine breite Opposition gegen die USA und ihrer europäischen Verbündeten, die die betroffenen Länder mit Kriegen überziehen, ihre Bevölkerung demütigen oder als billige Arbeitskräfte ausbeuten.

Die herrschenden Kreise Europas reagieren auf die Proteste, indem sie die anti-islamische Hetze im Namen der Meinungsfreiheit verteidigen, während sie gleichzeitig Demonstrationen dagegen unterdrücken und die Sicherheitskräfte aufrüsten. Am augenfälligsten geschieht dies in Frankreich. Dort hat die Regierung alle Proteste gegen die verunglimpfenden Mohammed-Karikaturen verboten, die die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in provozierender Absicht veröffentlicht hat.

Diese Staatsaufrüstung richtet sich gegen die gesamte Arbeiterklasse. Die herrschende Klasse rechnet mit heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Unter den Bedingungen der Eurokrise und einer neuen Rezession nehmen die sozialen Gegensätze und Spannungen in Europa rasant zu.

Die französische Regierung beruft sich bei ihrem Vorgehen auf die Meinungsfreiheit, lässt diese aber nur für das Satiremagazin gelten, nicht aber für jene, die sich durch die Karikaturen beleidigt und verunglimpft fühlen. Auch in anderen Ländern muss die Meinungsfreiheit dazu herhalten, die verleumderische Karikaturen zu rechtfertigen und Protest dagegen zu kriminalisieren.

So hat in Deutschland der Schriftsteller Günter Wallraff dazu aufgerufen, „die Medien mit Religions-Karikaturen zu überschwemmen“. „Wenn die Übersättigung mit sogenannten blasphemischen Karikaturen und Texten gezielt eingesetzt wird, kann sie so funktionieren, wie sie sollte – für eine Stärkung von Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit und für eine souveräne Verteidigung demokratischer Positionen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Im Fall des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard war es das Wichtigste, dass auch andere Medien sich entschlossen, die Karikaturen nachzudrucken.“

Westergaard zählt zu den Autoren der Mohammed-Karikaturen, die die rechte dänische Zeitung Jyllands Posten 2006 mit dem Ziel veröffentlicht hatte, Muslime zu provozieren.

Wallraff hatte sich einst als Autor sozialkritischer Reportagen einen Namen gemacht. Heute befindet er sich in einer Allianz mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und anderen Reaktionären. Merkel hatte Westergaard vor zwei Jahren persönlich durch die Übergabe eines europäischen Medienpreises geehrt. Die Laudatio hielt damals Joachim Gauck, der inzwischen deutscher Bundespräsident ist. Gauck bezeichnete die Preisverleihung an den Karikaturisten als „Appell an alle, standhaft, wertorientiert und mutig zu bleiben“.

Wie die World Socialist Website bereits 2006 schrieb, hat die Veröffentlichung „primitiver Cartoons, die darauf abzielen, Moslems zu kränken und aufzuhetzen, … nichts mit Pressefreiheit oder der Verteidigung säkularer Grundsätze zu tun“. (Siehe: „Europäische Medien veröffentlichen moslemfeindliche Karikaturen: Eine üble, kalkulierte Provokation“) Mit demselben Recht könnte man die antisemitischen Karikaturen, die das Nazi-Hetzblatt Der Stürmer veröffentlichte, im Namen der Pressefreiheit verteidigen.

Die jüngsten Karikaturen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die schon vor sechs Jahren die Jyllands-Posten-Karikaturen nachgedruckt hatte, reihen sich nahtlos in die rassistische Kampagne gegen Muslime ein, die schon im Verbot des Kopftuchs an Schulen in Frankreich, in der gezielten Verbreitung der anti-islamischen Schmähschrift Thilo Sarrazins in Deutschland oder in der jüngsten Debatte über ein Verbot der Beschneidung zum Ausdruck kam.

Man muss kein Anhänger des Islam sein, um die Empörung von Moslems auf der ganzen Welt zu verstehen, die von den imperialistischen Mächten seit Jahren mit Kriegen, Demütigungen und Drohnenangriffen überzogen und nun von Medien mit obszönen rassistischen Karikaturen beleidigt werden, die von sich behaupten, die Werte der westlichen Demokratie und Zivilisation zu verteidigen.

Ziel der anti-islamischen Kampagne ist es, die Arbeiterklasse zu spalten, die Opposition gegen imperialistische Krieg zu unterdrücken, rechte Stimmungen zu schüren und die wachsenden sozialen Spannungen in reaktionäre, rassistische Kanäle zu lenken.

Sehr deutlich zeigt dies ein langes Interview, das die Vorsitzende der neofaschistischen Nationalen Front in Frankreich der Tageszeitung le monde gegeben hat. Marine Le Pen unterstützt das harte Vorgehen der regierenden Sozialistischen Partei gegen Muslime und beruft sich wie diese auf die Meinungs- und Pressefreiheit sowie auf die Prinzipien und Werte der Republik. Der Laizismus (die Trennung von Kirche und Staat) sei ebenso wie die Freiheit ein nicht verhandelbarer Wert, erklärt sie, der nur durch einen starken, autoritären Staat verteidigt werden könne.

Diesen Gedanken führt sie dann konsequent zu Ende, indem sie nicht nur die Unterdrückung islamischer, sondern auch jüdischer Symbole in der Öffentlichkeit fordert. Sie will die Zubereitung von koscheren und Halal-Mahlzeiten an den Schulen untersagen und das Tragen des islamischen Kopftuchs und der jüdischen Kippa in der Öffentlichkeit verbieten. Der Antiislamismus entpuppt sich so als großer Bruder des Antisemitismus. Er erfüllt denselben Zweck: Das Schüren von Rückständigkeit, ethnischen Spannungen und religiösem Hass.

Die Zurückweisung der verleumderischen Mohammed-Karikaturen bedeutet keine Unterstützung eines staatlichen Verbots, wie es einige konservative deutsche Politiker fordern, die um den sozialen Frieden fürchten. Einige von ihnen wollen sogar den Gotteslästerungsparagrafen im Strafgesetzbuch, eine berüchtigte Waffe der klerikalen Reaktion, wieder in seiner alten Form herstellen. Das ist nur die Kehrseite der Staatsaufrüstung, wie sie von den Verteidigern der Mohammed-Karikaturen betrieben wird.

Der Kampf gegen Rassismus ist wie die Verteidigung demokratischer Rechte untrennbar mit der unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms verbunden. Nur die Vereinigung der arbeitenden Bevölkerung über alle nationalen und ethnischen Schranken hinweg im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg kann der politischen Reaktion und dem religiösen Obskurantismus aller Schattierungen den Boden entziehen.

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